Chancen und Gefahren des 21. Jahrhunderts

Shenzhenshi

2020 steht vor der Tür. Die Menschen blicken aus einer von rasanten Veränderungen geprägten Gegenwart in eine unsichere Zukunft. Gesellschaften rund um den Globus stehen vor ganz neuen technologischen, politischen und sozialen Problemen. Wie gehen wir mit den Folgen der Globalisierung um? Wie mit der Verantwortung für die künstliche Intelligenz? Den Fake News? Dem Terrorismus? Müssen wir dringend handeln oder uns dringend entspannen?

Moderne Informationstechnologie untergräbt unsere Systeme

Das 20. Jahrhundert wurde von einem gigantischen ideologischen Kräftemessen dominiert: dem globalen Machtkampf zwischen Kommunismus, Faschismus und Liberalismus. Ende des 20. Jahrhunderts stand der westliche Liberalismus vorerst als klarer Sieger fest. Demokratie, freie Marktwirtschaft und Menschenrechte schienen weltweit auf dem Vormarsch. Doch seitdem ist viel passiert. Zeit für eine Bestandsaufnahme.

Anfang des 21. Jahrhunderts ist es erschreckend schlecht um den einst strahlenden Sieger bestellt. Schuld daran ist ausgerechnet die technologische Revolution. Die Computertechnologie hat unsere Welt seit den 1990er-Jahren radikal verändert. Und doch scheinen heutzutage die wenigsten Politiker in der Lage, das Ausmaß der Veränderung zu begreifen – geschweige denn sie zu kontrollieren.

Nehmen wir das Beispiel der Finanzwelt. Die Computer haben unser globales Finanzsystem so kompliziert und kryptisch gemacht, dass nur noch eine kleine Gruppe von Menschen versteht, wie es wirklich funktioniert. Je rasanter die Entwicklung der künstlichen Intelligenz fortschreitet, desto schneller nähern wir uns einem Punkt, an dem die Verarbeitung von Finanzdaten die menschliche Vorstellungskraft endgültig überschreiten könnte. Nicht auszudenken, was das für politische Entscheidungsprozesse bedeutet. Stell dir nur mal eine Zukunft vor, in der die Haushaltspläne und Steuerreformen unserer Regierungen von Algorithmen abgesegnet werden.

Bedauerlicherweise steht der Umgang mit diesen disruptiven Technologien bei den meisten Politikern heute trotzdem nicht auf der Agenda. Im US-Wahlkampf 2016 z.B. thematisierten weder Trump noch Clinton die Auswirkungen der Automatisierung auf den amerikanischen Arbeitsmarkt. Streng genommen standen disruptive Technologien nur einmal im Mittelpunkt des Geschehens – und zwar im Zusammenhang mit Hillary Clintons E-Mail-Affäre.

Diese Ignoranz führt dazu, dass viele Wähler das Vertrauen in das politische Establishment verlieren. Immer mehr Menschen in den westlichen Demokratien fühlen sich nutzlos in der schönen neuen Welt der schlauen Maschinen. Und genau diese Angst vor der Bedeutungslosigkeit treibt sie dazu, sich verzweifelt an jede Form von politischer Macht zu klammern, die ihnen bleibt. Bevor es zu spät ist. Genau das war der Grund für die politischen Erdbeben von 2016. Sowohl der Brexit als auch die Wahl von Donald Trump wurden von ganz „normalen“ Menschen unterstützt, die Angst haben, die liberale Welt könnte sie abhängen.

Im 20. Jahrhundert hatten die einfachen Angestellten Angst, die wirtschaftliche Elite könnte ihre Arbeitskraft ausnutzen. Anfang des 21. Jahrhundert sorgen sich die Menschen um den völligen Verlust ihres sozialen Status in einer Hightech-Wirtschaft, die sie schlicht und einfach nicht mehr braucht.

Computer werden viele Jobs übernehmen

Die Fachwelt ist sich so gut wie einig, dass die Robotik und das maschinelle Lernen im Laufe des 21. Jahrhunderts nahezu alle Berufe auf den Kopf stellen werden. Was das genau bedeutet, weiß dagegen niemand. Werden Milliarden Menschen in den nächsten Jahrzehnten einfach so durch Maschinen ersetzt? Und selbst wenn: Werden wir dann alle arm sein oder haben wir einfach mehr Zeit für ein schöneres Leben und bessere neue Jobs?

Optimisten verweisen in diesem Zusammenhang gern auf die industrielle Revolution im ausgehenden 19. Jahrhundert. Auch damals grassierte die Angst, die neuen Maschinen könnten die Menschen in die Massenarbeitslosigkeit drängen. Die Fortschrittsgläubigen halten im Nachhinein dagegen, die neuen Maschinen hätten damals für jeden Arbeitsplatz, den sie obsolet machten, eine neue Stelle geschaffen. Es gibt jedoch guten Grund zur Annahme, dass sich die technologische Revolution im 21. Jahrhundert deutlich zerstörerischer auf das menschliche Arbeitsleben auswirken wird.

Dafür müssen wir uns zunächst anschauen, welche ökonomisch verwertbaren Fähigkeiten der Mensch überhaupt besitzt: kognitive und körperliche. Während der Industriellen Revolution wurde die menschliche Arbeitskraft nur auf dem Gebiet der körperlichen Kompetenzen von den Maschinen bedroht. Unsere kognitiven Fähigkeiten blieben den Apparaten haushoch überlegen. Das bedeutet, dass seitdem zwar viele manuelle Tätigkeiten in der Industrie und Landwirtschaft automatisiert wurden, gleichzeitig aber stetig neue Jobs entstanden, in denen die kognitiven Fertigkeiten des Menschen gefragt waren, z.B. die Fähigkeit, zu analysieren, zu kommunizieren oder zu lernen.

Doch jetzt kommt’s: Im 21. Jahrhundert werden die Maschinen zunehmend smart genug, um uns auch bei kognitiven Tätigkeiten die Butter vom Brot zu nehmen. Die Neurowissenschaft fand unlängst heraus, dass viele unserer Entscheidungen, Vorlieben und Emotionen nicht auf eine magische menschliche Eigenschaft wie den freien Willen oder das berühmte Bauchgefühl zurückzuführen sind. Es sieht ganz danach aus, als sei die menschliche Wahrnehmung ein Beiprodukt unseres neuronalen Vermögens, Muster zu erkennen und verschiedene Wahrscheinlichkeiten innerhalb von Sekundenbruchteilen zu berechnen.

Das führt natürlich zu einer unbequemen Frage: Werden wir mit diesem Wissen so gute künstliche Intelligenzen bauen, dass diese uns früher oder später auch in Berufen mit „menschlicher Intuition“ wie z.B. der Rechtsprechung oder dem Banking übertreffen? Die Wahrscheinlichkeit ist hoch. Es ist durchaus vorstellbar, dass Computer noch im 21. Jahrhundert über Kreditwürdigkeiten entscheiden oder die Aussagen von Anwälten in Gerichtsverfahren auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen. Man könnte auch sagen: Schon in naher Zukunft sind selbst die kognitiv anspruchsvollsten Jobs nicht mehr vor der Automatisierung sicher.

Spaltet Immigration die EU?

Die Welt wirkte noch nie so klein wie heute. Das 21. Jahrhundert hat Veränderungen hervorgebracht, die sich frühere Generationen niemals hätten erträumen lassen. Die Globalisierung hat die Grenzen rund um den Erdball weicher und durchlässiger gemacht, sodass sich heute Menschen von überall auf der Welt begegnen. Das führt auch zu ganz neuen Arten von Konflikten.

Je mehr Menschen auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen Landesgrenzen überschreiten, desto stärker werden die Tendenzen großer Bevölkerungsgruppen, „Fremde“ abzuweisen oder zur kulturellen Anpassung zu zwingen. Diese Tendenzen stellen unsere politischen Ideologien und nationalen Identitäten auf die härteste aller Proben.

Das gilt besonders für Europa. Die Europäische Union entstand im 20. Jahrhundert aus dem Bestreben europäischer Staaten wie Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland, kulturelle Klüfte und Konflikte zu überwinden. Ironischerweise gefährdet zu Beginn des 21. Jahrhunderts gerade das Unvermögen der EU, die kulturellen Unterschiede von EU-Bürgern und neuen Einwanderern aus Nahost und Nordafrika aufzufangen, das Fortbestehen des ganzen Projekts. Die Frage nach dem Umgang mit der wachsenden Zahl von Schutzsuchenden aus diesen Ländern hat eine erbitterte Debatte über Toleranz und kulturelle Identität entfacht.

Es gibt zwar so etwas wie einen grundlegenden Konsens darüber, dass sich Einwanderer um eine Integration in die Kultur ihrer neuen Heimat bemühen sollten. Wie weit diese Integration gehen soll, ist aber Gegenstand fortlaufender Diskussionen. Manche politischen Gruppierungen sind der Meinung, die Neuankömmlinge sollten ihre bisherige kulturelle Identität zur Gänze abstreifen, bis hin zu traditioneller Kleidung und Essensgeboten. Sie finden auch, Zuwanderer aus patriarchalischen oder stark religiösen Ländern müssten die emanzipatorischen und säkularen Wertvorstellungen der europäischen Gesellschaft übernehmen.

Die Befürworter der Immigration nach Europa dagegen pochen auf den Gründungsgedanken der EU. Europa sei mit seiner gewaltigen Bandbreite an Werten und Gewohnheiten von Natur aus so kulturell divers, dass wir von niemandem die Anpassung an die abstrakte Vorstellung einer kollektiven Identität verlangen können, auf die wir uns selbst nicht beziehen. Sie glauben, dass wir muslimische Migranten nicht zur Konvertierung zum Christentum nötigen können, wenn etwa die Mehrheit der Briten oder Deutschen inzwischen selbst nicht mehr in die Kirche geht. Und sie stellen infrage, warum z.B. britische Einwanderer aus den ehemaligen britischen Kolonien Indiens statt ihrer traditionellen Currys britische Gerichte essen sollten, wenn die meisten Briten nach Feierabend selbst eher in einem indischen Restaurant sitzen – statt im Frittiersalon bei Fish and Chips.

Es gibt schlichtweg keine klaren Antworten auf die Frage nach dem Grad der kulturellen Integration. Eine Lektion für das 21. Jahrhundert lautet daher, dass wir diese Debatte nicht als einen moralischen Kulturkampf darstellen dürfen, bei dem auf der einen Seite rechtsextreme Einwanderungsgegner kämpfen und auf der anderen Seite Migrationsbefürworter, die angeblich den „Tod des Abendlandes“ heraufbeschwören. Stattdessen sollten wir den Umgang mit einer so wichtigen Herausforderung respektvoll verhandeln, denn letztlich haben beide politischen Perspektiven ihre Berechtigung.

Wann gewinnen die Terroristen?

Ein weiteres dringliches Thema des 21. Jahrhunderts ist der Umgang mit dem Terrorismus. Dabei steht die Angst in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Bedrohung. Beweise gefällig? Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 kommen jährlich in Europa durchschnittlich 50 Menschen bei Terrorangriffen ums Leben. In den USA sind es etwa zehn.

Im selben Zeitraum starben in Europa 80.000 Menschen bei Verkehrsunfällen und über 40.000 in den USA. Wenn unser täglicher Weg zur Arbeit eine so viel realistischere Bedrohung ist, warum haben wir im Westen dann mehr Angst vor Terroristen als vor Autos?

Weil Terroristen absolute Meister der Manipulation sind. Für die meist schwachen und verzweifelten Splittergruppen ist der Terrorismus die letzte verbliebene Strategie zur Beeinflussung der politischen Lage. Sie wollen Schrecken und Angst in den Herzen ihrer Gegner säen, weil ihnen die Mittel fehlen, um echten materiellen Schaden anzurichten. Und wenn man sich den bisherigen Verlauf des 21. Jahrhunderts ansieht, erweist sich die Taktik als gnadenlos effektiv.

Beispiel 9/11: Al-Qaida tötete 3.000 New Yorker und stürzte die wichtigste Metropole der USA tagelang ins Chaos. Das alles war zweifelsohne entsetzlich. Rein militärisch betrachtet war der Schaden jedoch gleich null: Den US-Streitkräften stand nach den Angriffen dieselbe Anzahl von Soldaten, Düsenjets und Panzern zur Verfügung wie davor. Die Verkehrs- und Kommunikationssysteme des Landes waren völlig unversehrt.

Die wahre Macht des Anschlags lag in seiner emotionalen Wucht. Die Bilder von den einstürzenden Twin Towers brannten sich so tief ins kollektive Gedächtnis, dass das Land auf einen gigantischen Vergeltungsschlag drängte. Der Rest ist Geschichte: Wenige Tage nach dem 11. September 2001 erklärte George W. Bush dem Terror in Afghanistan den Krieg, dessen Folgen den gesamten Nahen Osten bis heute prägen. Der Plan der Terroristen, die Region zu destabilisieren, war aufgegangen.

Wie aber konnte eine vergleichsweise kleine und schwache terroristische Gruppierung mit wenig militärischen Ressourcen die größte Supermacht der Welt zu einer so unverhältnismäßigen Reaktion provozieren?

Beantworten wir die Frage mit einer Metapher. Stell dir al-Qaida wie eine Stubenfliege vor, die wütend im Porzellanladen herumschwirrt. Sie will etwas kaputt machen, kann allein aber nicht mal eine Kaffeetasse bewegen. Da kommt sie auf eine viel bessere Idee. Im selben Porzellanladen steht ein heißblütiger Stier. Die Fliege beschließt, den cholerischen Kraftprotz solange mit ihrem nervtötenden Summen zu ärgern, bis er die Fassung verliert – und bei der Jagd nach ihr den ganzen Laden in Schutt und Asche legt.

Eine weitere Lektion für das 21. Jahrhundert lautet daher: Wenn sich mächtige demokratische Regierungen zu unverhältnismäßigen Reaktionen hinreißen lassen, gewinnen die Terroristen.

Der Mensch des 21. Jahrhunderts ist weitaus ahnungsloser, als er denkt.

Der westliche Mensch des 21. Jahrhunderts sieht sich als Kind der Aufklärung. Unsere liberalen Gesellschaften gründen auf dem unerschütterlichen Glauben an die Fähigkeit des Einzelnen, rational zu denken und unabhängig zu handeln. Unsere Demokratie basiert auf der Vorstellung, die Wähler wüssten, was das Land braucht. In unserer freien Marktwirtschaft liegt der Kunde immer richtig. Unsere Schulen verstehen sich als Bastionen des unabhängigen Denkens.

Aber was ist, wenn wir uns damit selbst überschätzen? Was, wenn es ein Fehler ist, so große Stücke auf unsere hochgelobte Ratio zu halten? In Wirklichkeit weiß der Mensch des 21. Jahrhunderts nämlich erschreckend wenig darüber, wie die Welt wirklich funktioniert.

In der Steinzeit wusste nahezu jeder Mensch, wie man Nahrung beschafft, Tierhaut zu Kleidung verarbeitet und ein Feuer entfacht. Der moderne Mensch ist da deutlich weniger autark. Das Problem ist nur: Er weiß es nicht. Wir halten uns für tausendmal schlauer als unsere Vorfahren, dabei sind wir von der Nahrungsbeschaffung bis zur Kleidung in so gut wie allen Lebenslagen auf die Hilfe von Spezialisten angewiesen.

Im Rahmen einer Studie wurden Teilnehmer gefragt, ob sie mit der Funktionsweise eines gewöhnlichen Reißverschlusses vertraut wären. Obwohl nahezu alle Teilnehmer bejahten, waren anschließend nur die wenigsten in der Lage, die simple Mechanik näher zu erläutern. Und wir reden hier nur von einem Reißverschluss.

Die Lektion für das 21. Jahrhundert? Der moderne Mensch fühlt sich informierter, als er ist. Die Wissenschaft hat dafür den Begriff der Wissensillusion geprägt. Wir glauben, wir wüssten viel, weil wir nahezu unbeschränkten Zugang zum Wissen anderer Menschen haben – z.B. zur Funktionsweise von Reißverschlüssen. Wir verwechseln den Zugang zur Information aber mit wirklichem Wissen.

Die Wissensillusion führt dazu, dass Menschen in wichtigen Situationen und Funktionen – z.B. ihrer Rolle als Wähler oder Regierungsvertreter – die wahre Komplexität der Welt verkennen und sich selbst dessen nicht einmal bewusst sind.

So kommt es, dass wichtige klimapolitische Entscheidungen von Personen beeinflusst werden, die wenig bis keine Ahnung von Meteorologie haben. Oder dass Lösungen für die Konflikte in der Ukraine oder dem Irak von Politikern befürwortet werden, die diese Länder erst einmal auf der Landkarte suchen müssten.

Wenn das nächste Mal jemand seine Meinung über ein Thema abgibt, hake spaßeshalber einmal nach, wie viel er wirklich über das Thema weiß. Du wirst womöglich überrascht sein.

Die Schüler des 21. Jahrhunderts sollten nicht noch mehr Fakten lernen, sondern ihr kritisches Denken trainieren.

Ein Kind, das 2018 geboren wird, ist im Jahr 2050 Anfang dreißig und wird hoffentlich auch im Jahre 2100 noch leben. Welche Art von Bildung braucht diese Generation, um das 21. Jahrhundert erfolgreich zu gestalten? Die unangenehme Wahrheit lautet: Wenn die Kinder von heute wirklich die führenden Köpfe von morgen sein sollen, müssen wir unsere Bildungssysteme reformieren. Die Schule, wie wir sie kennen, wird den Ansprüchen des 21. Jahrhunderts nicht gerecht.

Unser derzeitiges Schulsystem ist viel zu sehr darauf bedacht, seine Schüler mit Wissen vollzustopfen. Das mag im 19. Jahrhundert sinnvoll gewesen sein, als der Zugang zu Bildung nicht selbstverständlich war und es weder Fernseher noch Radio noch das Internet gab. Zu dieser Zeit waren auch viele Informationsschnipsel staatlich zensiert oder ideologisch gefärbt. Verständlich also, dass das moderne Schulsystem großen Wert auf historische Fakten oder geographisches und biologisches Grundwissen legte. Das neue Wissen bedeutete eine dramatische Verbesserung der Lebensumstände der einfachen Bevölkerung.

Die Lebensbedingungen der Menschen haben sich seitdem aber gewaltig verändert. Heute haben wir nicht mehr mit der beschränkten Verfügbarkeit, sondern dem gigantischen Überangebot an Informationen zu kämpfen. Im 21. Jahrhundert klinken sich die Menschen rund um den Erdball mit Smartphones ins Netz. Sie können 24 Stunden am Tag auf Wikipedia recherchieren, TED-Talks abrufen oder Online-Seminare belegen.

Das größte Problem des modernen Menschen ist nicht länger die Knappheit von Informationen, sondern die exponentiell wachsende Menge an Fehlinformationen. Man denke nur an all die Fake News, die durch die sozialen Medien geistern.

Daher lautet eine Lektion, dass sich die Bildung ändern muss. Angesichts der gigantischen Informationsströme sollten wir unseren Kindern in der Schule nicht noch mehr Daten in den Kopf hämmern. Die Kinder des 21. Jahrhunderts sollten stattdessen lernen, wie sie sich einen Reim auf all die Informationen machen, mit denen sie täglich bombardiert werden. Sie sollten lernen, wie sie zwischen falschen, belanglosen und wirklich relevanten Informationen unterscheiden und wie sie die unbegrenzte Verfügbarkeit all dieses Wissens nutzen, um tatsächlich die Wahrheit zu finden.

Fake News sind ein uraltes Phänomen und geben uns Gelegenheit zur Kooperation.

Mit Sicherheit glaubst auch du nicht alles, was du auf Twitter liest. In der modernen Gesellschaft wimmelt es so sehr vor Lügen und Fiktionen, dass manche bereits vom sogenannten Zeitalter des Postfaktischen sprechen.

Man denke nur an die strittige Informationspolitik Wladimir Putins. 2014 marschierten russische Spezialkräfte auf der ukrainischen Krim ein. Doch Putin sprach öffentlich stets von von der Regierung unabhängigen „Selbstverteidigungsgruppen“. Putin wusste selbst, wie dreist diese Lüge war.

Wenn wir heute aber wirklich in einem postfaktischen Zeitalter leben – wann genau war denn dann die Ära der absoluten Wahrheit? Und wann und warum ging sie zu Ende? Durch die sozialen Medien? Durch Putin? Oder Trump? Ein kurzer Blick in die Geschichte genügt, um eine solche zeitgeschichtliche Einteilung ad absurdum zu führen. Unsere Wahrnehmung von der Wahrheit wird schon seit geraumer Zeit durch Propaganda, Manipulation und Desinformation verzerrt.

Im Jahr 1931 z.B. inszenierte das japanische Militär Scheinangriffe auf das eigene Land, um die anschließende Offensive gegen China zu legitimieren. Japan ging sogar so weit, ein fiktives Land namens Mandschukuo zu erfinden, um den Einmarsch zu rechtfertigen. Auch Großbritannien bog sich die Realität bei der Kolonialisierung Australiens im 19. Jahrhundert zu einer passenden Version zurecht. Die gewaltsame Eroberung des bevölkerten Inselkontinents wurde zur Legende der terra nullius umgedichtet: der Besiedlung eines vermeintlich menschenleeren Niemandslands. Damit wurden 10.000 Jahre indigene Kulturgeschichte bequem aus dem Bild gestrichen.

Die unbequeme Wahrheit lautet daher, dass wir schon immer in einer postfaktischen Gesellschaft leben. Man könnte sogar noch weiter gehen und sagen: Unsere Spezies verdankt ihren ganzen beeindruckenden Aufstieg ihrer Fähigkeit, Fiktionen zu entwerfen und diese dann zu glauben.

Die Menschen finden schon seit prähistorischen Zeiten über selbstverstärkende Mythen zu Wertegemeinschaften zusammen. Wir sind nicht ohne Grund die einzige Spezies auf dem Planeten, die mit Fremden kooperiert: Nur wir besitzen die Fähigkeit, im richtigen Moment die richtigen Geschichten glaubwürdig zu erzählen und so zu verbreiten, dass Millionen von anderen Menschen an sie glauben.

Erst der gemeinsame Glaube eines Kollektivs – z.B. einer Gesellschaft – an ein übergeordnetes Narrativ führt dazu, dass wir entsprechende Gesetze befolgen und als Gemeinschaft kooperieren. Die Religion ist dafür das beste Beispiel. Man führe sich nur vor Augen, welche Errungenschaften wir religiös verbundenen Gruppen verdanken. Weltreligionen wie das Christentum und der Islam gehen im Grunde auf nichts anderes als antike Fake News zurück – und haben uns dazu gebracht, Schulen, Krankenhäuser und Brücken zu bauen.

Die Stärkung von Gemeinschaft und sozialem Zusammenhalt kann nur offline gelingen.

Mark Zuckerberg ist ein Mann mit einer Mission. Der Facebook-CEO glaubt, dass viele der drängendsten Probleme unserer Zeit – vom Drogenmissbrauch über soziale Unruhen bis zum Vormarsch totalitärer Regime – auf eine gemeinsame Ursache zurückgehen: den schwindenden sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Darum kündigte er 2017 in einem ehrgeizigen Manifest an, Facebook wolle ab sofort rund um den Globus den Gemeinschaftssinn und Zusammenhalt stärken. Aber kann Facebook wirklich helfen, stärkere Gemeinschaften zu bilden?

Zunächst einmal hat Zuckerberg den Finger in die richtige Wunde gelegt: Immer weniger Menschen engagieren sich in sozialen oder kulturellen Organisationen. In den letzten Jahrzehnten haben Gruppierungen jedweder Couleur – vom Fußballverein bis zur parteipolitischen Basis – etwa ein Viertel ihrer Mitglieder verloren. Facebook ist nur leider nicht die Antwort. Warum? Weil echte menschliche Gemeinschaft nur offline funktioniert.

Das liegt daran, dass wir Menschen entgegen unseres Glaubens noch immer dieselben physiologischen und emotionalen Grundbedürfnisse haben wie in der Steinzeit. Wir Menschen müssen uns als Teil eng verbundener Gemeinschaften fühlen, um zu gedeihen. Seit Jahrtausenden gehen wir in intimen sozialen Gruppen von höchstens dreißig Mitgliedern durchs Leben. Ohne den Anschluss an dieses enge Kollektiv vereinsamen wir und entfremden uns von der Gesellschaft. Selbst heute können wir aufgrund unserer primitiven kognitiven Veranlagung höchstens 150 Menschen wirklich persönlich kennenlernen – egal wie viele Facebook-Freunde wir haben.

Daher sind all die Versuche der Social-Media-Unternehmen und politischen Parteien, unsere engen sozialen Bande künstlich zu erweitern, von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Egal wie viele Kameraden du in einer Partei hast oder mit wie vielen Gleichgesinnten du virtuell in privaten Facebook-Gruppen vernetzt bist – nichts davon kann die warme und körperliche Nähe eines echten Freundes oder Geschwisterkindes ersetzen.

Daraus lässt sich folgende Lektion für das 21. Jahrhundert ableiten: Die Intimität analoger Gemeinschaften ist unerreichbar für die virtuelle Nähe der Online-Communitys. Stell dir nur vor, du lebst in Tel Aviv und liegst mit Fieber im Bett. Deine Facebook-Freunde in Kalifornien können dich mit Worten und Videonachrichten trösten. Sie können dir aber keine Suppe kochen oder dich auf dem Weg zum Arzt begleiten.

Wenn Zuckerberg es also wirklich ernst meint mit der Wiederbelebung globaler Gemeinschaften, wird er sich ein paar mehr Gedanken darüber machen müssen, wie er die Kluft zwischen seiner Welt und dem echten Leben überbrücken will.

Die Fortschritte der Biotechnologie bringen unseren freien Willen und unsere Privatsphäre in Gefahr.

Die Welt, wie wir sie kennen, wird aktuell von zwei revolutionären Entwicklungen verändert: Die Humanbiologie steht kurz davor, die letzten großen Geheimnisse des menschlichen Körpers zu entschlüsseln. Und die Computerwissenschaft arbeitet unermüdlich an immer leistungsfähigeren Methoden der Datenverarbeitung. Doch wenn diese beiden Revolutionen verschmelzen, erleben wir womöglich unser blaues Wunder.

Warum? Weil das Ergebnis dieser Symbiose hochintelligente Computerprogramme wären, die mehr über deinen Gesundheitszustand wissen, als es je ein Arzt getan hat. Das würde unweigerlich zu einer epischen Kompetenzverlagerung vom Mensch zum Computer führen.

Schon in wenigen Jahrzehnten könnten Computerprogramme mit einem konstanten Strom an Daten zu unseren Körperfunktionen versorgt werden. Sie könnten unsere körperliche Verfassung rund um die Uhr überwachen und schon bei den kleinsten Vorboten von Erkrankungen wie Krebs, Alzheimer oder Influenza Alarm schlagen. Lange bevor wir selbst spüren, dass etwas nicht stimmt. Die Programme könnten die besten Diäten, Ertüchtigungsübungen und Behandlungsmethoden vorschlagen – maßgeschneidert angepasst an die individuelle DNA, Persönlichkeit und Physis der Person.

Das mag nach unvorstellbarem medizinischen Fortschritt und Gesundheit 3.0 klingen. Kurioserweise wäre unser Leben dann aber nicht weniger von Krankheit bestimmt, sondern sogar noch mehr.

Es wird immer Körperteile und -funktionen geben, in denen irgendetwas nicht stimmt oder verbessert werden kann. Früher haben sich die Menschen so lange gesund gefühlt, bis sie wussten, dass sie krank waren. Der Mensch des 21. Jahrhunderts dagegen könnte über Biosensoren mit biometrischen Computerprogrammen verknüpft werden, die seine Leiden lange vor den ersten Beschwerden registrieren. So wäre er konstant mit irgendeinem medizinischen „Problem“ konfrontiert, dem er mit computergenerierten Methoden vorbeugen müsste.

Jetzt könntest du sagen: Man kann die Messergebnisse und die Empfehlungen des Computers doch einfach ignorieren. Aber was, wenn irgendwer auf die Idee kommt, die biometrischen Daten direkt an den Staat, deinen Arbeitgeber, Krankenversicherungen oder Pädagogen zu schicken? Stell dir vor, du verlierst deinen Job oder deine Versicherung, weil du dich nicht an die Empfehlungen deines medizinischen Computers hältst.

Das wäre eine Katastrophe für unsere Handlungsfreiheit. Jeder Raucher kennt die Risiken einer Krebserkrankung. Aber wie selbstbestimmt wärst du in einem System, das dich bei den kleinsten Unvernünftigkeiten warnt oder deinen Chef, deine Eltern oder gar die Polizei verständigt? Das lässt nur eine Lektion für das 21. Jahrhundert zu: Der medizinische und technologische Fortschritt darf nicht dazu führen, dass mit den Krankheiten auch unser Recht auf Privatsphäre verschwindet.

Der Klimawandel ist die größte existenzielle Bedrohung des 21. Jahrhunderts.

Auch Jahrzehnte nach dem Ende des Kalten Krieges gelten nukleare Waffen als größte Bedrohung auf dem Planeten. Dabei gibt es noch eine andere Gefahr, die von Jahr zu Jahr existenzieller wird: der totale Zusammenbruch unseres Ökosystems.

Besonders verstörend ist, dass die Menschen diese Gefahr rund um den Globus auf verschiedenste Weise eigenhändig befeuern. Wir bauen die verbliebenen natürlichen Ressourcen in immer rasanterem Tempo ab und vergelten es Mutter Erde, indem wir sie mit gigantischen Mengen an Gift und Müll belasten. Der Deal ist so ungerecht und schmutzig, dass er bis zum Himmel stinkt – und dabei die Böden, das Wasser und die Luft verpestet.

Nehmen wir das Beispiel Landwirtschaft: Moderne Bauern düngen ihre Felder mit Unmengen an Phosphor. Der kann in geringen Mengen das Wachstum von Pflanzen begünstigen, wirkt sich aber bei übermäßiger Anwendung toxisch auf die Umwelt aus. Die Phosphorreste der industriellen Landwirtschaft gelangen über das Grundwasser in die Flüsse, Seen und Meere, wo sie zur tödlichen Bedrohung für die marine Flora und Fauna werden. So kann ein Maisfarmer im Mittleren Westen der USA ungewollt den Tod gewaltiger Fischschwärme im Golf von Mexiko verursachen.

Dabei bedrohen wir mit unserer ökologischen Verantwortungslosigkeit nicht nur die Lebensräume anderer Arten. Wenn wir nicht dringend etwas ändern, bringen wir unsere eigene Existenzgrundlage in Gefahr!

Stichwort Klimawandel: Der Mensch hat im Laufe seiner über 100.000-jährigen Existenz sowohl Eiszeiten als auch Hitzeperioden überstanden. Unsere Städte, die Landwirtschaft und unsere komplexeren Formen sozialer Organisation haben sich allerdings erst in den letzten 10.000 Jahren entwickelt. In diesem jüngsten Abschnitt der Erdgeschichte, dem Holozän, haben sich die klimatischen Bedingungen auf der Erde nur unwesentlich verändert. Umso bedenklicher ist es, dass unser Klima zunehmend von diesen so günstigen Bedingungen abweicht.

Unser energieaufwendiger Lebensstil belastet die Atmosphäre mit so vielen Abfallprodukten wie Kohlenstoffdioxid, dass die globale Durchschnittstemperatur kontinuierlich steigt. Wenn wir die weltweiten Treibhausgasemissionen nicht bis 2040 radikal reduzieren, wird sich die Erde Klimaforschern zufolge um weitere zwei Grad Celsius erwärmen. Das klingt nach wenig, hätte aber gigantische Auswirkungen: das Schmelzen der Polkappen, den Anstieg der Meeresspiegel, die Überflutung oder Versteppung ganzer Landstriche und noch mehr Naturkatastrophen wie Hurrikans und Taifune.

Unter solchen Bedingungen käme die Landwirtschaft zum Erliegen. Weite Teile der Erde würden unbewohnbar und Millionen von Menschen ihrer Heimat beraubt. Selbst wenn es unserer Spezies irgendwann gelänge, sich an die neuen Klimabedingungen anzupassen, möchte man sich nicht vorstellen, wie viele Menschen auf dem Weg dorthin ums Leben kommen werden.

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