Das Euro-Dilemma

Crash, Clash oder Inflation: Europas innere Spannungen steigen. Während Deutschland, die Niederlande und einige andere Euroland-Staaten ihre Überschüsse im Außenhandel immer weiter ausbauen, rutschen Spanien, Griechenland, Portugal und Italien immer weiter ins Minus.

Amerika ist schuld – diese Überzeugung gehört inzwischen zur ökonomischen Folklore diesseits des Atlantiks. Es ist die populäre Erklärung, warum es zur Krise kommen konnte. Dabei gibt es auch in Europa gefährliche „Ungleichgewichte“. Nur finden sie bislang kaum Beachtung. Dabei sind sie sogar noch gravierender als die globalen. Die möglichen Folgen? Hohe Inflationsraten, Zerfall des Euro-Lands, politische und soziale Destabilisierung. Aber eines nach dem anderen.

Seit Beginn der Währungsunion 1999 driften die Euro-Staaten ökonomisch auseinander. Während Deutschland, die Niederlande und einige andere Staaten ihre Überschüsse im Außenhandel immer weiter vergrößern, rutschen Spanien, Griechenland, Portugal und Italien immer weiter ins Minus.

Die erste Gruppe von Ländern steigert ihre Wettbewerbsfähigkeit kontinuierlich und exportiert, was die Kapazitäten hergeben – die zweite Gruppe verliert immer weiter an Wettbewerbsfähigkeit und verschuldet sich immer höher im Ausland. Die Ungleichgewichte haben dramatische Größenordnungen erreicht: Griechenland, Spanien und Portugal verzeichnen Leistungsbilanzdefizite von 10 Prozent und mehr des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Zum Vergleich: Das US-Defizit erreichte in der Spitze einen Wert von 6 Prozent des BIP.

Wie die europäischen Problemstaaten ihre Schulden zurückzahlen wollen, wie sie jemals ihre Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen können, ist völlig unklar. Entsprechend nervös reagieren die Finanzmärkte. Schon wurde in den vergangenen Monaten die Zahlungsfähigkeit einiger Euro-Staaten in Zweifel gezogen. Und die Gefahr ist keineswegs gebannt.

Außenwirtschaftliche Defizite derzeitiger Größenordnungen waren früher unbekannt. Möglich wurden sie erst durch die Öffnung der Kapital- und der Gütermärkte in den 90er Jahren und den Übergang zur Währungsunion. Ein deutscher Anleger, der sein Geld in Spanien investiert, muss seither keine Abwertung der Peseta mehr befürchten.

Denn das wäre die normale Reaktion: Die Währung einer Volkswirtschaft mit außenwirtschaftlichem Defizit wertet ab, wodurch die Wettbewerbsfähigkeit wiederhergestellt wird. In der Währungsunion ist diese marktmäßige Anpassung versperrt.

Die Einheitswährung hat viele Vorteile, deshalb wurde der Euro ja geschaffen. Was aber fehlt, ist ein Mechanismus, um das Euro-Land zurück in die Balance zu bringen. Weil Wechselkursanpassungen nicht mehr möglich sind, sind deutsche Güter nach Berechnungen der EU-Kommission inzwischen um mehr als 10 Prozent unterbewertet, spanische und griechische hingegen sind um mehr als 12 Prozent überbewertet. Warum? Weil die Produktionskosten in den Südländern schneller gestiegen sind als in Deutschland.

Prinzipiell gibt es vier Lösungen:

  • Lösung A – ein Ausstieg schwächerer Länder aus dem Euro – hätte unabsehbare politische, ökonomische und soziale Folgen.
  • Lösung B – hohe staatliche Transfers an Spanien und Co. – werden die Bürger in den Zahlerländern, zuvörderst in Deutschland, angesichts leerer Kassen kaum akzeptieren.
  • Lösung C – Reformen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit – lindert die Ungleichgewichte allenfalls langfristig.
  • Lösung D – mehr Inflation – Preise, Löhne und sonstige Kosten dort müssen künftig langsamer steigen als in Deutschland oder den Niederlanden. Nur so können sie allmählich wieder wettbewerbsfähig werden.

Jedoch: Bei 2 Prozent Inflation im Durchschnitt aller Euro-Staaten, bislang das Ziel der Europäischen Zentralbank, ist eine Gesundung durch Lohn- und Preiszurückhaltung kaum möglich. Bei 5 oder 10 Prozent Inflation hingegen fiele es ihnen viel leichter, die Ungleichgewichte abzubauen. Natürlich werden Deutsche, Niederländer und andere über derlei Ansinnen nicht amüsiert sein. Aber ich fürchte, ihr Widerstand wird sich – angesichts der nicht minder grimmen Alternativen – in Grenzen halten.

Quelle: Henrik Müller

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