Warum niemand über die Befürchtung lacht, die USA könnten Pleite gehen

Wer lacht heute über die Investoren, die sich gegen den Bankrott von Ländern wie den USA versichern? Sie lachen nicht einmal über sich selbst, obwohl niemand ernsthaft annimmt, dass ein bedeutender Staat wie die USA tatsächlich bankrott gehen und daher die Schulden nicht mehr bezahlen könnte. Dieser Schadensfall ist ungefähr so wahrscheinlich wie die Bedrohung, vor der sich Majestix fürchtet.

Die Investoren haben weniger Angst davor, Firmen wie McDonald’s könnten bankrott gehen, als davor, dieses Schicksal würde den Staat ereilen – von dessen Funktionieren die Firmen aber nicht unwesentlich abhängig sind. Denn wenn die USA Pleite gehen, dann sicher auch McDonald’s, Letzteres eher schon vorher. Dennoch sind den Investoren die Versicherungspolizzen gegen eine Pleite McDonald’s weniger wert als jene gegen einen Kreditausfall der USA.

Solches wird gern als eine Verwerfung im Markt bezeichnet. Diese irrationale Bewertung von Versicherungen gegen Staatsbankrott (sogenannte „Credit Default Swaps“) zeigt wohl so deutlich wie nie zuvor, wie losgelöst von jeder allgemein akzeptierten Vernunft und Realität die Protagonisten des Finanzsektors gegenwärtig agieren – und zwar nicht erst seit dem Platzen der Immobilien-Blase. Insofern erscheint es angebracht, diese Realität als ein Spiel zu definieren – als Spiel mit drei Teilnehmern:

Erstens sind da zunächst die Erfinder und Emittenten von Finanzprodukten, die meist von Banken oder anderen sogenannten „intermediären“ Institutionen – vulgo Zwischenhändlern – vertrieben werden. Diese verkaufen ein Finanzprodukt, um irgendjemand anderen zu finanzieren: Eine Staatsanleihe finanziert den Staat, der beispielsweise den Nennwert der Anleihe nach zehn Jahren zurückzahlen soll. Die Bank vertreibt die Staatsanleihe (der Himmel, der herunterfallen könnte). Und weil die Bank mehr Geschäft machen will, lässt sie sich auch gleich eine Versicherung einfallen – eben besagten „Credit Default Swap“, der die Käufer der Anleihe dagegen versichert, dass der Staat den Nennwert nach zehn Jahren nicht zurückzahlen kann. Für einen Anleihebetrag von 10 Millionen Euro ist hier schon mal der Gegenwert eines Oberklassewagens fällig und insgesamt sind nach aktuellen Schätzungen „Credit Default Swaps“ im Wert von 50 Billionen Dollar unterwegs.

Zweitens „raten“ Ratingagenturen. „Raten“ kann entweder englisch oder deutsch ausgesprochen werden – beides ist in diesem Fall richtig. Aber das „Raten“ oder die „Ratings“ werden nur wahrgenommen, wenn nicht alles gleich „geratet“ wird – daher bekommt der Staat A das Rating AAA und der Staat B das Rating BBB. Dessen ungeachtet – und auch wenn sich der zweite Staat etwas mehr verschuldet haben mag als der erste – ist das Kreditausfallsrisiko bei beiden praktisch null.

Drittens: Die Investoren nutzen die Ratings, um zusammen mit den Emittenten einen Preis für die Finanzprodukte und deren Versicherungen zu bilden. Staaten mit schlechteren Ratings werden bestraft, indem sie höhere Zinsen für ihre Schulden zahlen müssen. Wie gesagt: Die Strafe wird bei Staaten wie den USA oder solchen aus dem Euro-Raum „grundlos“ verhängt, weil sie praktisch nicht bankrott gehen können. Und die Investoren bestrafen sich selbst, indem sie für die Versicherung gegen ein Risiko, das gar nicht vorhanden ist, umso mehr zahlen, je schlechter das Rating ist.

Sie rechtfertigen ihr Verhalten mit den relativ guten Chancen, dass sich früher oder später weitere Investoren finden werden, welche noch mehr für diese Versicherung zahlen wollen. Womit wir wieder bei einer Form des Pyramidenspiels wären.

Die drei Spieler werden durch Kibitze unterstützt: Medien auf der Suche nach Nachrichten aus der Finanzszene, Analysten, die ihre Gehälter rechtfertigen müssen. Mark C. Taylor betitelte 2004 sein überaus aufschlussreiches Buch über die Beziehungen zwischen Glauben und Finanzmärkten mit „Confidence Games“, was sowohl mit „Schwindel“ als auch „Vertrauensspiel“ übersetzt werden kann. Beides funktioniert jedenfalls mit drei Spielern am besten: ein Verkäufer eines wertlosen Produktes, ein Käufer, der auf ein Schnäppchen hofft, und ein scheinbar Unparteiischer, der den Wert des Produktes bestätigt (con-fides bedeutet so viel wie Mit-Glauben).

Druide Obama?

Im „normalen“ Leben dauert so etwas nicht lange, weil der Käufer in der Regel den Betrug schnell durchschaut. Im Finanzsektor tauschen aber Käufer und Verkäufer innerhalb von Sekunden und das am Tage tausendmal die Rollen. Und auf diese Art bleibt das Spiel auch im Gange.

Den Rest kennen wir mittlerweile zur Genüge: Zunächst profitieren alle Spielteilnehmer und können viel Geld damit machen. Je mehr Geld allerdings ins Spiel kommt, umso dramatischer ist der unvermeidliche Zusammenbruch der Pyramide. Im Grunde also klingt das alles sehr vertraut – die Blasen, die Madoffs, die Crashs. Umso unglaublicher, das Spiel nach dem jüngsten Zusammenbruch nicht nur weitergehen zu sehen, sondern dessen Irrealität nunmehr ganz offen vor Augen geführt zu bekommen.

Bleibt abzuwarten, wie lange der Druide Obama Zaubertränke austeilen kann, um die reale Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Hier nämlich liegt das eigentliche Problem. Denn das irreale Spiel hat sehr reale Konsequenzen für die Liquidität der Betriebe und der Staaten, indem durch seine anhaltende Prolongation das Geld für sie künstlich verteuert und verknappt wird. Die Banken wären stark genug.

Quelle: Johannes M. Lehner

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